Der Blick in die Kristallkugel - Was passiert 2022 in der Buchbranche?
Gerade in unsicheren Zeiten wünschten manche sich, sie hätten eine magische Kristallkugel, um in die Zukunft zu sehen. Was geschieht in der Buchbranche im nächsten Jahr? Welche Themen werden relevant? Was berührt die Menschen? Was berührt mich?
Leider sind die einzigen Kristallkugeln, die wir haben, nicht besonders magisch. Eher schwer und kalt und aus Glas. Sie verzerren eher die Gegenwart, als dass sie die Zukunft darstellen.
Doch verzagt nicht. Wir sind nicht hilflos. Denn mitunter kann man zumindest Vermutungen anstellen, was in diesem Jahr so passieren wird. Wie?
Indem man sich das vergangene Jahr ansieht. Und das haben wir in unserer 47. Folge getan.
Wir hätten diesen waghalsigen Blick in die Zukunft nicht umsetzen können ohne die wertvolle Unterstützung vom Buchreport. Sie haben uns eine relevante Themenauswahl zuk
ommen lassen und uns sogar einen Blick hinter ihre Paywall erlaubt, wodurch unsere Recherche überhaupt erst möglich geworden sind. Danke!
Die Corona-Pandemie - Schon jetzt ein Themenklassiker

Leider kann man das nicht auslassen, wenn man über das Jahr 2022 sprechen will.
Die Pandemie beeinflusst auch die Buchbranche.
Viele Verlage legen sich über die Krisensituation hinaus Pläne für vermehrtes mobiles Arbeiten und Homeoffice zurecht.
Pandemiebedingte Verzögerungen im Verkehr und der Rohstoffbeschaffung bedrohen die Buchproduktion.
Doch auch für uns kleine Schreiberlinge, die in ihrem Arbeitszimmer sitzen und an dem nächsten Bestseller feilen, hat sich einiges nachhaltig verändert. Wenn wir das Schreiben neben dem Beruf ausüben, fällt für uns vielleicht vorher genutzte Zeit in Bus und Bahn weg. Eventuell gewinnen wir auch Zeit durch den wegfallenden Weg zur Arbeit. Nichtsdestotrotz stehen wir vor derselben Herausforderung wie viele andere Menschen: wer seinen Brotjob an demselben Schreibtisch ausführt wie seine kreative Arbeit, muss einen Weg finden, beides auf psychischer Ebene zu trennen. Da werden wir uns weiter mit auseinandersetzen müssen.
Analoge Netzwerkmöglichkeiten wie die Buchmessen fallen aus und nehmen vielen Autorinnen und Autoren eine Plattform. Gleichzeitig werden viele Online-Angebote etabliert, die barrierefrei sind und neue Chancen bieten.
Es wird interessant zu beobachten, was sich in dem Bereich noch tun wird.
Einkaufskonditionen – welche Vorteile dürfen große Händler wirklich haben?

Anfang des letzten Jahres ist ein Streit in der Buchbranche ausgebrochen, der auch ins nächste Jahr hinein noch seine Wellen schlagen wird. Der Buchhandel ist nicht nur ein Unternehmensmodell. Er hat einen Bildungsauftrag. Eine möglichst vielfältige Auswahl von Literatur und Sachbüchern sollen selbst in den kleinsten Städten für alle Menschen zugänglich gemacht werden.
Wir sind uns alle einig: Bücher sind wichtig und dürfen kein Gegenstand kapitalistischer Aussiebung werden. Dieser Gedanken liegt – unter anderem – dem sogenannten Buchpreisbindungsgesetz zugrunde.
Lange Rede, kurzer Sinn: Es werden immer mehr Stimmen laut, die von einer sogenannten „Konditionsschere“ sprechen.
Die großen Händler – wie Thalia – sollen gegenüber kleineren und Zwischenhändlern (bspw. Libri) Vorteile haben, indem sie von den Verlagen für Zusatzleistungen bezahlt werden, die von den anderen nicht in dem Maße (oder gar nicht) erbracht werden könnten (zum Beispiel Marketingleistungen). Deswegen hat der Börsenverein alle Parteien an eine virtuelle Tafelrunde gebeten, um eine außergerichtliche Lösung zu finden. Denn es wird befürchtet: sobald das Ganze in die Justiz kommt, ist die Buchpreisbindung in Gefahr.
Nun hat man sich darauf geeinigt, dass die einzelnen Spieler in diesem Streit – die Verlage, die großen Händler und Zwischenhändler – eine Entwicklung aufeinander zu anstreben. Überprüft wird das mit anonym durchgeführten Umfragen und einer ebenfalls anonymen Beschwerdestelle.
Ob das ganze was bringt sehen wir in diesem Jahr. Es bleibt spannend!
Beschaffungskrise – wo ist das ganze Papier?

Überall nur Krisen, Krisen, Krisen. Nun werden auch noch die Rohstoffe knapp. Papier, Leim, Pappe – all das wird immer schwerer zu beschaffen.
Mitunter hängt das damit zusammen, dass coronabedingt wichtige Märkte in Asien für lange Zeit ausgefallen sind und weniger produziert haben. Teilweise liegt das Problem auch in der Logistik: Manche Schiffe können nicht auslaufen oder bestimmte Häfen nicht ansteuern, sodass Verzögerungen auftreten.
Aber auch – und nicht zu vernachlässigen – ist das Problem durch das gute alte Hamstern entstanden. Einige Verlage und Druckereien haben den Engpass kommen sehen und massenhaft vorproduziert, um dem Weihnachtsgeschäft gewachsen zu sein.
Mal ganz abgesehen davon, dass bei einer solchen Überproduktion leider, leider auch viele Bücher irgendwann wieder ungelesen entsorgt werden (das möchte man sich gar nicht vorstellen!!) hat dies denselben Effekt gehabt wie das berüchtigte Horten von Klopapier: Manche wenigen Lager sind zum Bersten voll und viele andere bleiben leer.
Ein erlesener Planet – Nachhaltigkeit und Klimaschutz
Auch in der Buchbranche wird das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz immer wichtiger – ebenso wie in allen anderen Branchen auch.

Relevant wird dies beispielsweise bei der Herstellung der Bücher, ihrer Verpackung (da sie oft in Folie
eingeschweißt sind) und auch bei Fragen der Lieferung, der Logistik und dem Problem, dass immer noch viel zu viele Bücher ungelesen entsorgt werden.
Viele Verlage streben an, in mehr oder minder naher Zukunft völlig CO2-neutral zu produzieren. Und schon jetzt findet man vermehrt das kleine Symbol des Blauen Engel auf neuen Büchern und verrät, dass es aus recyceltem Papier hergestellt wurde.
"fairlesen" - Zwischen Bildungsauftrag und Existenzangst
Eine Bibliothek stellt Bücher günstig zum Ausleihen zur Verfügung.
Damit ist sie ein wichtiger Spieler in dem Bestreben, Literatur und Wissen auch einkommensschwachen Menschen frei zugänglich zu machen – eine unumgängliche Notwendigkeit. Aus diesem Grund streben die Bibliotheken aktuell eine Änderung der Gesetzeslage an. Sie wollen, dass die Lizenzen für E-Books sofort bei Erscheinung für die Bibliotheken freigegeben werden müssen – und nicht, wie es aktuell ist, erst viele Monate oder gar ein Jahr danach. Damit wollen sie ihrem Bildungsauftrag nachkommen.

Bedauerlicherweise birgt dieser Wunsch große Nachteile. Ohne die Stütze der E-Book Verkäufe gerade nach der Veröffentlichungen wird die Existenzgrundlage vieler Autorinnen und Autoren sowie Verlagen essenziell gefährdet. Was nützt es einem, ein E-Book günstig aus der Bibliothek (on)leihen zu können, wenn es niemanden gibt, der es schreibt? Deswegen wurde die Initiative „fairlesen“ ins Leben gerufen, die sich dieser Entwicklung entgegenstellt. Darin vertreten sind große Namen wie Sebastian Fitzek, Juli Zeh, Hape Kerkeling und Daniel Kehlmann.
Diversität - Schwarze Tinte auf weißem Papier soll bunter werden
Immer mehr Menschen kommen zu Wort und dürfen ihre eigene Lebensrealität mit der Welt teilen. Das ist eine sehr wertvolle Entwicklung.
Obwohl sie lange nicht abgeschlossen ist lässt der aktuelle Trend doch darauf schließen, dass sie immer wichtiger wird.
Einige Kinderbücher zeigen inzwischen ein breiteres Bild des menschlichen Lebens als noch vor wenigen Jahren. Das „default“ Verständnis einer Welt, die weiß, binär und heterosexuell ist, wird aufgebrochen und zurückgelassen zugunsten der bunten Vielfalt, die wir Menschen wirklich zu bieten haben. Kinder und Jugendliche sind in ihrem Alltag heutzutage schon von wesentlich mehr Diversität umgeben als früher und wollen dies in den Geschichten gespiegelt sehen, die sie lesen.
Verlage setzen auch bei der Belletristik vermehrt auf den Einsatz von „Sensitivity Readern“ (Menschen mit einer bestimmten Lebenserfahrung bspw. Einer gewissen Herkunft, Hautfarbe oder Genderidentität lesen einen Text und prüfen ihn auf Authentizität und mögliche Fehltritte). Ebenfalls wird immer öfter der Dialog mit den Autoren und Autorinnen sowie den Lesenden gesucht.
Dabei wird oft betont, dass Diversität nicht immer das Thema der Geschichte sein soll.

„Diversität soll ein selbstverständlicher Bestandteil der alltäglichen Lebenswelt unserer Protagonisten sein.“
Teresa Baethmann, Redaktionsleitung erzählendes Kinderbuch und Kindersachbuch bei Kosmos
Ist das Jahr 2022 damit entschlüsselt?
Als angehende Autoren und Autorinnen ist es immer lohnenswert, sich ein wenig in der Branche auszukennen, die man irgendwann einmal selber betreten möchte.
Ihr habt nun eine grobe Idee von einigen der größten Themen, welche die Buchbranche aktuell beschäftigen. Damit findet ihr sicher das eine oder andere Gesprächsthema auf der nächsten Buchmesse und habt nun die Grundlagen, diese Themen weiter zu verfolgen.
Wir sind gespannt, wie es weitergeht.