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Ein Schrecken ohne Ende? "Kiss, Kiss" von Roald Dahl

Ein Bed & Breakfast, in dem der Tee komisch schmeckt. Ein Aufzug, der einen Ehestreit beilegt. Ein Mantel, der am falschen Ort landet. Das sind - angeteasert - nur einige der insgesamt 11 Kurzgeschichten in dem Band "Küsschen, Küsschen" von Roald Dahl. Doch sie alle haben etwas gemeinsam: das Ende entsteht nur im Kopf des Lesers.


Roald Dahl schafft es, in seinen Kurzgeschichten kleine Fenster in fremde Lebenswelten aufzumachen. Als ich diesen Band mit 17 Jahren gelesen habe, war ich völlig unvorbereitet darauf, wie schnell er dieses Fenster auch wieder zuschlägt. Er zieht uns in die Geschichte, bringt uns den Charakteren nahe, lässt die Luft knistern vor Konflikten, sodass wir sie am eigenen Leib spüren - und dann hört er auf.

Wenn der Leser selbst drauf kommen muss


Der Moment des Begreifens ist wie ein Schlag. Die Geschichte endet und für einen Augenblick hängt man in der Luft als hätte man eine Treppenstufe verfehlt. Die Informationen sind alle da - und das Gehirn sucht nach Antworten.

Und es wird fündig. Jedes Mal.

Dann beginnt der Sturz.


Ich musste das Buch nach jeder Geschichte eine Weile weglegen. Die Tatsache, dass ich das letzte Stück des Weges als Leser alleine gehen musste, hat diesen für mich extrem erfahrbar gemacht. Und darin liegt auch die große Lehre, die wir von Roald Dahl mitnehmen können: Wenn der Leser die Puzzleteile selbst zusammensetzt, ist die Emotion auf das Geschehene stärker, als wenn es ausgesprochen wird.


Selbstverständlich muss der Autor oder die Autorin das Handwerk beherrschen, um diesen Kniff richtig anzuwenden. Roald Dahl hat, abgesehen von seinem ausgesparten Ende, sehr klar kommuniziert. Seine Geschichten haben kein überschüssiges Fett.


So führt er seine Leserschaft sanft aber bestimmt an den Punkt, wo er sie haben will.


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