Unterleuten: Mit dem Dorf stimmt was nicht - was wir von Juli Zeh lernen können

Das Dorf Unterleuten lebt nach eigenen Gesetzen. Trotz dem Ende der DDR und vielen Veränderungen, die die Wende mit sich gebracht hat, bestehen hier noch immer eigene, knorrig gewachsene Hierarchien. Doch bald schon werden alte Konflikte ans Licht gezerrt.
Oder vielmehr: An die Luft. Denn in dem beschaulichen, brandenburgischen Dorf soll ein Windpark gebaut werden.
Und bald geht es darum, wer vom Windpark profitiert und wer auf der Strecke bleibt.
In unserer Folge zum Thema Klappentexte habe ich das Buch kurz vorgestellt.
Was können angehende Autoren aus dem Roman lernen?
Struktur der Kapitel und Point of View
Für angehende Autor*innen lohnt es sich auch, einen Blick auf die einzelnen Kapitel des Werkes zu legen. Juli Zeh baut mit strukturierter Präzision in jedem Kapitel Spannung auf. Das liegt daran, dass sie diese wie eigenständige Kurzgeschichten behandelt und ihnen eine klare Struktur zugrunde legt.
Interessant ist auch, dass in jedem Kapitel eine Figur zu Wort kommt und die Geschehnisse aus ihrer Sichtweise schildert und bewertet. Juli Zeh hat unglaublich gründliche Recherche betrieben und so authentische Charaktere mit verschiedenen Stimmen mit Weltsichten geschaffen. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, wie diese Authentizität entsteht – handwerklich kann man dabei einiges lernen.
Mitunter treffen ihre Charaktere falsche Annahmen über ihre Mitmenschen und die Situation. Als Leser*in, die mehr Wissen als die Figuren besitzt, wird man so schnell an die Frustrationsgrenze getrieben. Das schafft ein eindrucksvolles Bild davon, wie Menschen funktionieren – und ein Gefühl für die größeren Zusammenhänge der Welt.
Die ganze Fläche des Buches kann fürs Marketing genutzt werden
Jedes Buch sollte im besten Falle als Werbung für sich selbst funktionieren. Der erste Eindruck entscheidet schon darüber, ob jemand das Buch kauft oder nicht.
Deswegen ist Präzision und Effizienz gefragt. Jeder Platz will genutzt sein – und jede Information muss einen Mehrwert schaffen.

Der btb Verlag hat dies bei dem Roman von Juli Zeh effektiv umgesetzt. Jede freie Fläche wurde genutzt, um mit Details über Autorin oder Geschichte neugierig zu machen:
Rückseite | Eine große, farblich auffällige Headline macht neugierig, ein kurzer Text umreißt Geschichte und Konflikt, zwei positive Zitate von hochwertigen Quellen heben die Qualität des Werkes hervor. |
Einbandklappe Vorderseite | Längere Zusammenfassung der Geschichte, Konflikt wird hervorgehoben. |
Einband Innenseite vorne | Lobende Zitate von bekannten Quellen. |
Einbandklappe Rückseite | Autorinnenvita von Juli Zeh. |
Einband Innenseite hinten | Karte des fiktiven Dorfes Unterleuten mit für die Geschichte relevanten Markierungen. |
Effektives Marketing: Realität und Fiktion werden miteinander vermengt
In der Vermarktung und der Aufmachung des Buches werden Fiktion und Realität geschickt miteinander vermischt. Beispielsweise sind dem Beginn des ersten Kapitels zwei Zitate vorangestellt:
„Alles ist Wille.“ – Manfred Gortz
„Unterleuten ist ein Gefängnis.“ – Kathrin Kron-Hübschke
Bei beiden Zitaten handelt es sich um Aussagen von fiktiven Figuren aus dem Werk.
Warum ist das so wirkungsvoll?
Das Stichwort lautet „Immersion“ - das Gefühl völligen Eintauchens in ein literarisches (oder anderweitig künstlerisches) Werk, das ein Autor oder eine Autorin im besten Falle anstrebt.
Das Team um den Roman „Unterleuten“ hat genau dieses Erlebnis angestrebt und ist dabei sehr kreativ geworden. Sämtliche Aspekte des Buches wurden genutzt, um ein dichtes Marketingnetz zu weben. Deutlich wird dies auf der zugehörigen Internetseite.
Hier findet man:
Einen Werbetext für das Dorf Unterleuten
Einen interaktiven Rundgang durch das Dorf mit Informationen zu allen Bewohnern
Verschiedene Links zu Internetpräsenzen, Youtube-Kanälen und Social-Media-Seiten des fiktiven Erfolgsberaters Manfred Gortz, der im Roman mehrfach erwähnt wird
Extra angelegte Homepages von im Roman auftauchenden Institutionen und Firmen.
Facebook und XING Profile einzelner Romanfiguren.
Wie Juli Zeh hier ganz richtig bemerkt:
„Unterleuten hatte von Anfang an die Tendenz, über die Buchdeckel hinaus zu wuchern.“
Zusammengefasst: Wo lohnt es sich, bei Unterleuten genauer hinzuschauen?

Achtet darauf, wie der Platz auf dem Buchdeckel und dessen Innenseite für Informationen genutzt wurde.
Achtet darauf, wie die Geschichte und Charaktere über den Roman hinaus existieren und so Teil der Marketingstrategie werden.
Achtet darauf, wie Juli Zeh ihre einzelnen Kapitel strukturiert.
Achtet darauf, wie sie authentische Charaktere schafft.
Auf jeden Fall lohnt es sich, Unterleuten zu lesen. Übrigens: Auch ihr neuer Roman „Übermenschen“ bietet viel Handwerk für den oder die lernbegierige/n Autor*in.