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Weihnachtliche Girlande unterstützt das festliche Design für unsere Seite mit Weihnachtstexten

Es weihnachtet sehr - und unser Zeilenschlinger Team sehnt sich nach den idyllischen Tagen vor 2020. Weiße Schneedecken über dunklen Straßen, strahlende Flocken, die ihren Weg zwischen heimeligen Holzhütten hindurch suchen - wir sehnen uns nach heißem Punsch und frischem Lebkuchen!

Da es dieses Jahr mit dem Weihachtsmarkt allerdings nichts wird, haben wir Euch um Hilfe gebeten - Anbei findet ihr die Einsendungen unseres Kurzgeschichten Wettbewerbs "Auf dem Weihnachtsmark".

Danke für all die wundervollen Einsendungen! Es war eine schwere Entscheidung und jede Geschichte beheimatet ihren ganz eigenen Geist der Weihnacht.

Wir gratulieren Claudia Starke - für eine Geschichte mit so viel Gefühl!

Eure Zeilenschlinger wünschen Euch ein frohes Fest
Karte mit einem Ausschnitt vom Weihnachtstext von Raffael Birkenmeier

Auf dem Weihnachtsmarkt

 

Als sich die Tür der TARDIS öffnete und Clara heraus trat, staunte sie nicht schlecht.

«X-2512-MAS, der vierundzwanzigste Mond des Planeten Krismas. Besonderheit: Es ist das ganze Jahr Weihnachtsmarkt!», bemerkte der Doktor, der ihr nachfolgte. «Der vierundzwanzigste? Weshalb nicht der fünfundzwanzigste?», fragte Clara schnippisch. «Krismas hat nur vierundzwanzig Monde...», antwortete der Doktor etwas kleinlaut. Doch Clara hörte ihm schon nicht mehr zu; sie hatte eine Verteidigungsposition eingenommen. «Doktor! Was hat ein Dalek an einem Fest der Liebe zu suchen?!» Doch der Doktor blieb gelassen, als der Dalek auf sie zusteuerte. «Amüsiert euch! Gehorcht!», krächzte dieser. Clara traute ihren Ohren nicht. «Jede Spezies hat ihre Ausnahmeexemplare, Clara», meinte der Doktor nur. «Komm, lass uns seiner «Empfehlung» nachkommen.»

 

Nachdem sie sich bei erster Gelegenheit bei einem sontaranischen Getränkeverkäufer einen «Punch» (die Sontaraner hatten nur «fast» keinen Humor) genehmigt hatten, erschrak Clara erneut, als sie an einen Stand kamen, hinter dem sich regungslos ein Cyberman aufhielt. Doch die Begegnung mit dem Dalek und insbesondere die Auswahl an verschiedenen Leckereien vor ihr liessen sie ihre Bedenken schnell vergessen. «Ah, gebranntes Allerlei; auf der Erde kennt ihr, meine ich, bloss Mandeln, nicht Clara?», erklärte der Doktor. «Kannst du was empfehlen?», fragte Clara zurück. Der Doktor hielt kurz inne und zeigte dann auf etwas. Der Cyberman griff danach und röstete es kurz über seinem eingebauten Flammenwerfer. «Ihr Produkt wurde upgegradet», meinte dieser und überreichte das verkohlte Etwas dem Doktor. «Ja, das hätte ich mir denken können», meinte der Doktor. «Clara, willst du meines vielleicht auch haben?» Doch Clara war verschwunden.

 

Der Doktor zwängte sich durch die Menge. «Clara? Clara, wo bist du? Clara!» Plötzlich hörte er Geschrei; es kam vom nahen Karussell. Die Menge teilte sich, als er darauf zustürzte – das Karussell lief viel zu schnell! Er zückte seinen Schallschraubenzieher und zielte auf das Karussell, es wurde langsamer und kam schliesslich zum Stehen. Glücklicherweise hatten sich nur zwei Passagiere darin aufgehalten. Einer davon war Clara. Der Doktor rannte auf sie zu, doch kam zu einem abrupten Halt, als er den zweiten erkannte. «Ach, Doktor, was musst du mir auch immer den Spass verderben!», rief dieser ihm entgegen. «Missy! Was tust du hier – und was hast du mit Clara gemacht!», rief der Doktor ihr zu und zielte mit seinem Schallschraubenzieher auf sie. «Ach komm sei nicht so. Nichts habe ich gemacht, nur ein wenig Spass gehabt mit deiner Freundin hier. Und steck dein Ding weg – es sei denn, du willst mir damit etwas anderes bedeuten», meinte Missy neckisch. «Clara, geht es dir gut?» «Mhm, viele bunte Lichter. Papi, kann ich mit Mami noch mal fahrn?» Der Doktor schüttelte den Kopf, es schien ihr nichts weiter passiert zu sein, nur etwas belämmert war sie. «Komm Clara, wir gehen, ich hätte ja nicht ahnen können, dass ausgerechnet sie hier sein würde.» Finster schaute er Missy an, als er Clara aus dem Wagen half und sie sich zum Gehen wandten. «Ach komm, sei doch nicht so, wir sehen uns doch sonst so selten! Ich bin auch ganz brav, aber bitte, bleib noch ein wenig und lass mich etwas bei dir sein. Zumindest heute, an Weihnachten...», flehte ihn Missy an. Der Doktor blieb stehen. Schaute Clara an, die wieder bei Besinnung war. Er las in ihrem Blick zwar Widerwille und berechtigte Verachtung – aber auch einen Hauch von Mitleid. Seufzend schüttelte er den Kopf «Na gut, Missy. Heute wollen wir eine Ausnahme machen. Zu Ehren dieses Fests der Liebe. Und der Vergebung.»

Karte mit einem Ausschnitt vom Weihnachtstext von Etteirneh

‚Auf dem Weihnachtsmarkt‘ 

Der Tag war endlich gekommen, meine Eltern wollten mich überraschen, aber ich wusste eigentlich schon die ganze Zeit, was sie mit mir vorhatten. 
An diesem Tag öffnete ich das 22. Türchen meines Adventskalenders, gefüllt mit Tee und es duftete schwer nach Roiboos mit Sahne und Karamell. Meine Mutter riefen nach mir und ich flitzte leicht die Treppe herunter, während ich - die letzten zwei Stufen auslassend – fast auf den Fliesenboden knallte. 
Die Tage bis Weihnachten verflogen dieses Jahr wie im Flug, vielleicht lag es daran, dass ich im Januar endlich 12 Jahre als werden würde und so langsam in das Teenageralter kam. 
Früher hatte ich immer ewig auf den 24. Dezember hingepocht. Jeden Tag die einzelnen Türchen geöffnet und das 24. Und größte Türchen heiß ersehnt. 
Mittlerweile ersehnte ich noch heißer mein 16. Lebensjahr um ‚Endlich Erwachsen zu sein‘. Meine Familie lachte immer nur schnaubend über diese Aussagen, aber ich ließ mich davon nicht beirren. 
Ich schweifte auch immer gern ab, aber nun zu meiner eigentlichen Geschichte. 
Der 22.12., und ich durfte endlich auf den Weihnachtsmarkt. Eigentlich waren meine Eltern nämlich keine Fans, und da wir auf dem Dorf wohnten – abgeschnitten von der Außenwelt, hatte ich auch keine Chance selber hinzugehen. 
Meine Mutter sagte oft, dass der Weihnachtsmarkt nur ein ‚Fressgelage‘ ist, welches einem das Geld aus der Tasche zieht. Ich habe das nie verstanden und selbst wenn es so gewesen wäre, dann das schönste und romantischste Fressgelage überhaupt. 
Wir fuhren also los und ich merkte bereits wie meine lange Unterhose, die ich von meiner Mutter aufgezwungen bekam, an meinen Beinen zu jucken begann, aber das störte mich wenig, schließlich freute ich mich zu sehr auf die ganzen Gerüche, auf das warme Handbrot und die duftenden gebrannten Mandeln. Ich konnte es wirklich kaum erwarten und die Fahrt bis dahin, verging fast so langsam wie früher die Vorweihnachtszeit. 
Endlich dort angekommen, sah ich bereits von Weitem die Menschenmassen. Meine Augen strahlten, während ich sah, wie meine Mutter langsam ihren Schal enger zog und wirkte als würde sie sich auf in den Kampf machen. 
Ich sprang los und nahm alle Eindrücke in mir auf. Ich roch alle Nuancen an Gerüchen und hörte jede Note der Musik und schwelgte in meinem fantastische Ideal, davon wie Weihnachten sein sollte.
Wir verbrachten einen wunderschönen Tag und selbst meine Mutter schien endlich aufzutauen, als wir die ersten Mutzen zusammen verspeisten und lachen mussten, als uns der Puderzucker überall um den Mund herum klebte. 
Als wir dann endlich auf dem Heimweg waren, glühten meine Wangen vom ganzen Lächeln und meine Mutter grummelte nur in ihren Bart, dass es auf dem Weihnachtsmarkt eben doch wie jedes Jahr war. 
Und ja, es war wie jedes Jahr, doch scheint es, als würde es für jeden eine andere Bedeutung haben, dachte ich mir schmunzelnd. 

Pseudonym: Etteirneh 
 

Karte mit einem Ausschnitt vom Weihnachtstext von Keiram

Der Weihnachtsmarkt war komplett überfüllt und überall tummelten sich Menschen mit Glühwein und Leckereien. Mir lief was Wasser im Mund zusammen, als ein Kind zufrieden mit seinem Crêpe an mir vorbeilief. Kiras Augen funkelten neben mir. “Sag mir nicht, dass ist dein erster Weihnachtsmarkt”, fragte ich sie und sie zuckte mit den Schultern. “Ich bin nicht so oft unter Menschen, riechst du es nicht? All ihre Gerüche, früher hätte ich hier auch nicht sein dürfen.” Ich musterte die Vampirin und schnupperte noch einmal. Auch ich roch die Haut und das Blut der Menschen, doch die zuckrige Luft reizte mich mehr. Mein Magen knurrte.

“Mich interessieren die Süßigkeiten wohl mehr” Sie lachte und betrachtete all die Stände und die Lichter. Ihre Faszination, machte sie fast niedlich, es hatte etwas kindliches. Wir schlenderten weiter und hielten an einem Stand, an dem ich uns Kakao und mir ein paar gebrannte Mandeln holte. Sie seufzte, als ich ihr den Becher hinhielt.

“Du weißt, dass es verschwendet ist” Ich grinste.

“Reines Alibi und komm, es schmeckt trotzdem.” Ich beobachtete amüsiert wie sie zaghaft den Strohhalm in den Mund nahm und dran sog. Der Blick war skeptisch, ehe sich ihre Augen leicht weiteten und sie noch einen kräftigen Schluck nahm. Zufrieden gönnte ich mir nun auch einen.

“Wow, das ist wirklich lecker”, bemerkte sie und klaute sich nun eine Mandel, bei der sie jedoch das Gesicht verzog. “Das verklebt ja die Zähne!”, beschwerte sie sich und ich grinste leicht schadenfroh. Ich deutete auf die kleine Eisbahn auf der gerade einige Leute fuhren. “Lass uns da etwas zu gucken”, sagte ich und wir stellten uns an den Rand. Während ich die Kinder beobachtete, die beneidenswert sicher auf dem Eis waren, spürte Kiras Blick immer wieder auf mir.

“Sag mal Travis?”, fragte sie irgendwann schon fast schüchtern. Ich sah sie kurz im Seitenwinkel an, sie wirkte wirklich nervös.

“Was denn?”

“Ist das hier ein Date?” Ich sah sie nun doch überrascht an. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.

“Möchtest du denn, dass es eins ist?” Sie wirkte so unsicher wie ich unsere coole, taffe Kira noch nie gesehen habe.

“Keine Ahnung, ich frag mich nur, ... weil wir so noch nie etwas alleine gemacht haben” Ich suchte in ihrem Blick nach einer Antwort und ihre Wangen wurden etwas rötlicher. Verdammt. Leicht verlegen, weil ich noch nicht mal in die Richtung gedacht hatte, kratze ich mich am Hinterkopf. “Es ist nicht so, dass ich die anderen nicht gefragte habe, aber sie hatten alle schon andere Pläne”, gab ich zu und sah leichte Enttäuschung in ihren Augen. Kurz darauf lachte sie, eindeutig gespielt. “Ach wenn das so ist, ist ja gut” Sie starrte nun aufs Eis.

“Kira?”, fragte ich leise, doch sie rührte sich nicht. “Kira?”, wiederholte ich lauter. Sie warf mir einen finsteren Seitenblick zu, die Augen leicht rötlich. Ich hatte sie damit ganz schön verletzt. So ein Mist.

Was?”

“Wieso bist du jetzt so sauer?” Sie schluckte und wich meinem Blick aus.

Weil ich dich scheinbar mehr mag, als du mich” Ich musterte ihr schönes Gesicht.

“Es ist nicht so, dass ich dich nicht mag. Ich habe nur... so viel um die Ohren” Sie hob eine Braue. “Außerdem, bin ich noch nicht über meine Ex hinweg”, gab ich zu bedenken und ihr Blick wurde sanfter.

“Also habe ich vielleicht irgendwann eine Chance?” Ich zuckte mit den Schultern und wollte wegsehen, doch sie umfasste mein Gesicht und drückte mir plötzlich die Lippen auf den Mund. Sie schmeckte nach heißem Kakao. Sie drehte sich um, mit einem Lächeln auf den Lippen. “Damit du weißt was dir entgeht.”

Karte mit einem Ausschnitt vom Weihnachtstext von Charlotte Sofia Garraway

Der letzte Abend

In meiner Heimatstadt gibt es keine drei heiligen Könige. Stattdessen gibt es drei junge Frauen, die nicht heilig, sondern ganz gewöhnlich sind.

Sie wohnen nicht mehr daheim.

Auf den Weihnachtsmarkt gehen sie trotzdem noch gerne.

Jedes Jahr treffen sie sich am 23.12. auf dem Markt, der sie seit ihrer Kindheit begleitet. Er ist verlassen, die Lichter gelöscht, die Buden abgebaut oder verrammelt.

Es ist kein Laut zu hören.

Die Betriebsamkeit der letzten Wochen hat sich am Nachmittag verabschiedet und die Stadt hat sich in ihre Wohnzimmer zurückgezogen, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Vereinzelt riecht es schon nach Braten oder Zimt, ein paar Pfützen Glühwein auf dem Pflaster erinnern an die lachenden Besucher der letzten Wochen.

Die drei Frauen sind jetzt die einzigen, die lachen. Sie tragen Heiligenscheine oder Nikolausmützen. Jedes Jahr. Während sie sich vom vergangenen Jahr erzählen und von den Plänen für das nächste, wandern sie durch die verlassenen Buden.

An den Straßenkreuzungen bleiben sie eine Weile stehen, mahnen einander zum Schweigen, lachen dann aber doch wieder oder müssen eine dringende Anekdote zu Ende erzählen.

Sie wünschen jedem ein frohes Fest, der an ihnen vorbei läuft oder fährt. Manchmal wiederholen sie die Wünsche, wenn ein Fahrradfahrer sie wegen der Kopfhörer nicht genau hört. Sie sagen frohe Weihnachten und winken dazu. Irgendwann hatten sie mal eine Liste geplant, um die guten Wünsche auch auf anderen Sprachen rufen zu können. Jetzt beschränken sie sich auf die Sprachen, die sie ohnehin sprechen. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst sind, dann sind das schon einige.

Die Leute sind irritiert, wenn sie an den drei Engelchen, die keine Heiligen sind, vorbeigehen oder radeln, hektisch noch die letzten oder vorletzten Besorgungen gemacht, in Gedanken schon bei den Kindern, Großeltern, Verwandten, der Bescherung und dem Chaos. Sie halten kurz inne, wenn eine der drei Frauen

„Frohe Weihnachten“

ruft. Und sie schauen irritiert und fragen sich, was die Frauen von ihnen wollen.

Manchmal artikulieren sie diese Frage.

Dann lachen die drei laut, sehen einander an und lachen noch lauter. Freuen sich.

„Nichts“, sagt dann eine von ihnen. „Einfach nur frohe Weihnachten.“
Und die Passanten gehen weiter, die Radfahrer treten wieder in die Pedale und wundern sich über diese merkwürdigen Frauen. Dann erinnern sie sich dunkel daran, dass sie die drei letztes Jahr schon gesehen haben. Oder vorletztes. Und dann lächeln auch sie, haben einen Moment der frohen Botschaft nur für sich und kehren zurück in den Feiertagsstress.

Und während ein paar der Weihnachtsmarktbuden um sie herum dann doch noch hektisch abgebaut werden, stehen die drei Frauen noch eine Weile beisammen, erinnern sich an früher, als sie drei kleine Mädchen waren und jeden Nachmittag hier Kinderpunsch tranken. Sie lachen wie damals und zelebrieren dieses Fest, dass auch jetzt noch immer so besonders für sie ist. Bis ihre Füße kalt werden und sie für einen letzten Glühwein in eine der Kneipen ihrer Jugend ziehen, weil es an denn verlassenen Buden nicht viel mehr als die Erinnerungen gibt.

Karte mit einem Ausschnitt vom Weihnachtstext von Vera Vender

Auf dem Weihnachtsmarkt

 

Es hatte angefangen zu schneien. Ich hatte es nicht für möglich gehalten. Schnee hatte ich das letzte Mal als Kind gesehen und eigentlich war es viel zu warm dafür. Wie früher steckte ich die Zunge raus, um eine Schneeflocke mit der Zunge zu erhaschen. Sie war winzig und schmolz sofort, ohne dass ich die Kälte spärte. Ein bitterer Geschmack machte sich in meinem Mund breit und ich spuckte aus. Geradewegs vor die teuren Schuhe der Frau, die mir gerade auf dem Weihnachtsmarkt entgegengestöckelt kam. Sie blickte mich angewidert an, hob ihre Nase noch ein wenig höher und ging weiter. Ich ließ meine Haare ins Gesicht fallen, damit der braune Vorhang mein Gesicht verdeckte. Dieses Leben unter Menschen war ich einfach nicht gewöhnt. Ich kam nicht von hier, ich lebte draußen. In der Wildnis.

Es gab nicht mehr viele Städte auf der Welt. Seit das Klima vor zehn Jahren verrücktspielte und unsere Erde nachhaltig verändert hatte. Die Hälfte der Welt wurde vom Meer verschluckt, die andere kämpfte um ihren Lebensraum. Und doch versuchten die Menschen an ihren Gewohnheiten festzuhalten. Sturer als ein Stück als ein altes Stück Lebkuchen.

Aber Finster wollte sich ja unbedingt hier auf dem Weihnachtsmarkt mit mir treffen. Finster hieß eigentlich Sebastian Hell, doch seine Laune war meist so mies, dass ihn alle nur Finster nannten. Hinter dem bestimmt 15. Glühweinstand hatte ich ihn endlich entdeckt. Ich blickte mich um, ob uns jemand bemerkte, doch die Menschen hatten nur Augen für die blinkenden Lichter, unter denen sie gar nicht merkten, wie ihre Geldbörsen mit jedem Schritt leichter wurden.

„Hi“, sprach ich ihn an, „wartest du schon lange?“

„Hmm“, er grunzte nur und seine buschigen Augenbrauen ruhten fast auf seiner Nase. Alter Miesepeter.

„Hast du gesehen, dass es schneit?“, versuchte ich etwas einfallslos, das Gespräch zum Laufen zu bringen.

„Das ist nur die Schneekanone vom Karussell-Heini. Der versucht, leichtgläubige Kinder anzulocken“, er sah mich vielsagend an und ich blickte verschämt weg. Tatsächlich tummelten sich die Kinder um das Karussell, während ihre Eltern erklären mussten, was das für ein weißes Zeug war.

Es wäre ja zu schön gewesen, um wahr zu sein. Eine Hoffnung, dass sich die Erde natürlich erholte. Doch das würde sie nicht und deswegen waren sie hier. Deswegen wollten, nein mussten sie etwas unternehmen.

„Hast du es dabei?“, fragte Finster. Ich kontrollierte erneut, ob niemand zu uns guckte. Dann kramte ich in meiner Tasche herum, bis ich einen langen, silbernen Gegenstand herauszog. Ein Messer.

„Steck das weg!“, fuhr Finster mich an, „warum posaunst du nicht gleich herum, dass wir den Bürgermeister töten wollen.“ Ich ließ die Waffe wieder in meine Tasche verschwinden. Während Finster mich in den Boden zu starrte.

„Bleib ruhig. Du musst nicht nervös sein. Es ist nicht der erste Bürgermeister, den wir erledigt haben.“ Ich ballte die Fäuste.

„Deswegen lebst du ja außerhalb. Du wirst bereits in fünf Städten gesucht.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Die wissen nicht mal, wie ich aussehe. Ich lebe draußen, weil ich diese Enge nicht ertrage.“ Ich machte eine Geste, die nicht nur den Weihnachtsmarkt, sondern die gesamte, korrupte Stadt umschloss.

Bevor meine Mutter in den Unruhen nach der Klimakatastrophe getötet wurde, hatte sie immer gesagt: „Der Fisch stinkt vom Kopfe her.“ Und genau so war es. Die Bürgermeister der freien Städte suhlten sich in ihrer Macht und stellten sich gegen alles, was ihre Position ins Wanken brachte. Selbst wenn es der Welt helfen konnte. Deswegen mussten sie diesen Kopf abschneiden. Damit diese Welt überhaupt noch eine Zukunft hatte, mussten sie handeln. Ich guckte noch einmal zur Schneekanone und zu den staunenden Kindern. Dann wand ich mich ab. „Wir müssen los.“ Ich wusste, es war das Richtige. Damit diese Kinder eines Tages vielleicht echten Schnee würden sehen können.

Karte mit einem Ausschnitt vom Weihnachtstext von @wikilyrics

Auf dem Weihnachtsmarkt.


Eigentlich hatte ich keinen Grund mich auf dem Weihnachtsmarkt durch die Massen zu drängen, aber ich wollte etwas besonderes finden, ein Geschenk. Für meine Mutter, ich gebe es zu. Sie mag diese Sachen aus Holz, die man manchmal finden kann, Sterne, Brücken, jeglicher Weihnachtsschmuck der aussieht, als ob er in einer kleinen Werkstatt im Herzen des Harz von einer alten, aber sehr geschickten Frau, fein säuberlich und akribisch von Hand geschnitzt wurde. Wurde er nicht. Aber das war ja egal. Ich stöberte gerade durch diesen Holzkrempel, als mir plötzlich eine Hand auf der Schulter lag. Ich erschreckte mich kurz, aber die Hand war angenehm, der Griff fest aber nicht grob, ich entspannte sofort und drehte mich um. Dann blieb mir die Luft weg.

„Hallo!“. Mein Atem stockte. „Wir haben uns ja jetzt ewig nicht gesehen, oder?“ Mein Herz pochte. „Warum sagst du denn gar nichts, freust du dich nicht mich zu sehen?“ Ich schluckte:

„Hallo...“, zu mehr reichte meine Luft nicht aus. Mir wurde flau im Magen und er drehte sich nicht nur einmal um. „Jetzt komm schon, sag was, lass mich jetzt hier nicht so hängen.“ Langsam konnte ich meine Gedanken wieder fassen. Ich schwankte zwar immer noch zwischen „Echt, du sprichst mich noch mal an?“ und „Noch nicht genug zerstört?“ oder vielleicht auch einfach knapp „Verpiss dich, Arschloch!“.

Dann hörte ich mich aber sagen: „Mir geht es gut, wie geht es denn dir? Was machst du hier?“

Sie lächelte: „Ich bin nur zu Besuch, bei meinen Eltern, dachte ich schau mal in der Stadt vorbei, trinke einen Glühwein und gucke, wen ich so treffe. Oder auch nicht. Dann habe ich dich gesehen, ich war nicht sicher, ob ich dich ansprechen sollte, aber dann dachte ich auch: Warum nicht. Ich meine, es ist alles lange her und wir sind ja keine Kinder mehr, richtig?“ „Richtig, sind wir nicht, zum Teil sind wir Menschen, gell?“

„Scherzkeks, soll das heißen, ich bin kein Mensch?“, sie lachte: „Du redest wie immer nur Schwachsinn. Magst du auch einen Glühwein?“ Du könntest genau wissen, dass ich diesen Scheiß absolut nicht leiden kann, ich bekomme davon das Kotzen, genau wie von dir. „Glühwein? Klar, man gönnt sich ja sonst nichts.“ Kurz dachte ich: Wow, ich hab mich ja richtig unter Kontrolle. Aber schon im nächsten Moment: Warum sollte ich mir den Spaß nicht erlauben? Wer weiß, was jetzt noch so kommt. Sie hat bestimmt grandiose Dinge zu erzählen, Stories aus der ganzen Welt und mit Menschen, die nicht nur faszinieren, sondern dich beschämt und sprachlos zurück lassen. So wie sie.

„Weißt du was, da fällt mir noch was ein...“, sie hielt mich am Arm fest, so dass ich stehen blieb und mich zu ihr drehte, dann sprach sie ganz ruhig weiter: „Du warst der Richtige, ich wusste es nicht, ich habe es nicht verstanden, ich habe es gespürt, aber ich konnte mich nicht dafür entscheiden. Es tut mir bis heute Leid und frage mich eigentlich schon immer, ob ich mich entschuldigen kann, ich möchte, dass du weißt, dass es mir sehr Leid tut. Was kann ich machen?“

Ich schaute zurück, mein Blick war leer: „Ganz ehrlich?“

„Ja, ganz ehrlich!“ „Geh doch kurz einen Schritt zurück!“ Sie machte einen Schritt zurück, dabei stolperte sie etwas über den Bordstein. Der Bus war in voller Fahrt, hupte noch, aber es war zu spät. In einem Zug riss er sie mit.

Karte mit einem Ausschnitt vom Weihnachtstext von Mario Asche

Auf dem Weihnachtsmarkt 
Wohl keiner in dem verschlafenen Ort hätte, noch mit einem derartigen Winterauftakt gerechnet. Denn obschon diese Gegend für ihre rauen Winter bekannt war, hatte dieser sich in jenem Jahr, bisher nur von einer ekelnd nasskalten Seite gezeigt. Doch pünktlich zum Start des Weihnachtsmarktes, fielen die ersten Schneeflocken. Und es wurden ihrer rasch mehr. Eine junge Punkerin die selbstgedrehte zwischen Zeige und Mittelfinger geklemmt, hielt eine bauchige Tasse dampfenden Glühweins in den Händen. Die mit Schnitzereien verzierten Dächer der Stände färbten sich in flauschiges Weiß.  Eine Gruppe verschiedener Altersklassen, stimmten ein feierliches „ Deck the Halls “ an was, der Punkerin mit dem blau farbenen  Pagenschnitt bloß ein zynisches Lächeln in die edlen Gesichtszüge schnitt. Gott wie sehr sie diese aufgesetzte Fröhlichkeit ankotzte. Der gleiche heuchlerische Bullshit wie bei Halloween wenn auf einmal alle einen auf finsterer Goth machen, aber an jedem anderen Tag die Nase rümpfen, wenn sie Leute mit Piercings im Gesicht sehen. Fickt euch mit eurem „Alle Jahre wieder“ Scheiss , dachte die Punkerin bei sich und nahm vorsorglich pustend, einen größeren Schluck Glühwein. Dieser, das musste sie zugeben schmeckte schlicht fantastisch. Der war definitiv selbstgemacht. Zu intensiv war der Geschmack der Gewürze. Und vernahm sie in dieser Genuss Odyssee nicht auch noch  einen Schuss Rum? Im gleichen Moment dieser erfolgreichen Analyse, hörte sie plötzlich eine tiefe warmherzige Stimme. 
„Bist du es wirklich Sylvie?“ Sylvie verspannte sich augenblicklich. Diese Stimme nach so vielen Jahren wiederzuhören, versetzte ihr einen heftigen Stich ins Herz. Langsam drehte sie sich zu dem alten Mann hin. Sie stellte die Tasse ab und zog sich ihren von Flickstücken übersäten Ledermantel enger um den schlanken Körper. Sie trat ihre Kippe aus und wusste nichts zu sagen was, die sie erdrückende Pause hätte überwinden lassen können. Doch ihr Unwohlsein, war unbegründet. In dem Gesicht des Mannes zeigte sich nichts denn Freude sie endlich widerzusehen. Aber nichtsdestotrotz mischte sich, auch Sorge darunter. Er sah die Tätowierungen die sie auf den Händen am Hals und teils auch im Gesicht trug. Jedes hatte seine Bedeutung und nicht alle zeugten von schönen Erinnerungen. Das größte und auffälligste unter denen welche sichtbar waren, zeigte sich als ein brennendes Autowrack.  Es war auf die nackte, dem Sidecut geschuldete Kopfhaut gestochen. Das Leben hat Dornen und oft hinterlässt es Wunden die stets aufs neue bluten, so man sie nur berührt.  
„Ich hatte Angst zu hoffen. Aber als ich dich trinken sah,“ kurz hielt der Mann inne um sich zu festigen. „Da hast du genauso gestrahlt wie früher wenn ich deinem Bruder und dir Kakao gemacht habe. „Dir muss schrecklich kalt sein. Kein Wunder wenn du in so dünnen Klamotten herumläufst. Hier nimm,“ sorgte sich der  weißbärtige alte Mann und reichte Sylvie einen Weihnachtspullover. „Ja ich weiß sowas magst du nicht, aber was anderes habe ich nicht da,“ beschwichtigte er die säuerlich lächelnde Punkerin und konnte sich dabei ein Lächeln nicht verkneifen. „Ok zieh ich mir eben ein Rentierpulli über,“ gab Sylvie sich nun ebenfalls lächelnd geschlagen, darauf bestehend, dass ihr Gegenüber nicht noch seine eigene Jacke anbot. Die Umarmung mit ihrem Onkel war lange und von starken Emotionen geprägt. Die Ketten an ihrem Nietengürtel klirrten überlaut so schien es. 
„Ich war zugedröhnt als ich meine Eltern heimfuhr,“ gestand sie ihm unterbrochen von Weinkrämpfen. „Ich bin schuld daran das Mom tot und Dad ein Krüppel ist.“ Zärtlich hob  er das Kinn seiner Nichte an. „Währest du, damals  nicht in den Graben gefahren hätte, der Geisterfahrer euch alle getötet.“ 
„Er hat Recht,“ sprach ein vorzeitig ergrauter Mann weinend  im Rollstuhl. Sein Sohn zog Sylvie fest an die Brust.

Karte mit einem Ausschnitt vom Weihnachtstext von Fiona Bennecke

Auf dem Weihnachtsmarkt


Milo liebt Weihnachtsmärkte.
Die Atmosphäre, die funkelnden Lichter und die süßen Düfte machen ihn glücklich. Deshalb treibt er sich während der Weihnachtszeit fast täglich auf dem schillernden Markt herum. Auf dem beim Marktplatz des Dorfes, nicht auf dem übertrieben großen in der nächsten Stadt. Zwar vergnügen sich dort all seine Freunde, aber für Milo ist es in der Stadt zu laut. Er genießt lieber die Stimmung auf dem Weihnachtsmarkt seines Heimatdorfes. 
Er schlendert entspannt über den Weihnachtsmarkt, ein leichtes Lächeln umspielt dabei seine Lippen. Die Luft ist angenehm, beißend Kalt und durchflutet Milos Lungen frisch bei jedem Atemzug. Seine Wangen sind von einigen Gläschen Glühwein bereits gerötet, seine dunklen Augen funkeln unter dem Glanz der Lichterketten. 
An diesem Abend ist er alleine unterwegs, weder seine Kollegen noch seine Freunde hatten Zeit, geschweige denn Lust, mit dem aufgedrehten Milo schon wieder über den Weihnachtsmarkt zu ziehen. Aber das stört den jungen Mann nicht. 
Vor dem opulenten Weihnachtsbaum am äußersten Bereich des Weihnachtsmarktes hält er inne. Eine Weile lang beobachtet Milo die an ihm vorbeischlendernden Leute, lauscht halbherzig ihren Gesprächen und sinniert darüber, ob er sich noch gebrannte Mandeln kaufen soll oder nicht. Seine Gedanken daran werden allerdings jäh vom sanften klimpern von Glöckchen und einer zaghaften Berührung an seinen Beinen unterbrochen. Als Milo an sich hinabsieht, bemerkt er eine getigerte Katze, die sich schnurrend um seine Beine schlängelt. Es ist ein zartes Tier, mit stechend gelben Augen und einem Halsband voller Glocken. 
„Wer bist du denn?“ Milo beugt sich lächelnd hinab und streichelt das grazile Tier. Als Antwort bekommt er ein zufriedenes Schnurren, ehe die Katze davoneilt. 
Milo sieht ihr prüfend nach. Die Katze läuft zielstrebig weiter bis zur nächsten Seitengasse, dreht sich dann nochmal zu Milo um und verschwindet.
Milo will sich schon wieder abwenden, bemerkt aber sanftes Licht, welches aus dieser Straße kommt. Normalerweise sind die kleinen, engen Seitenstraßen rund um den Marktplatz nicht geschmückt, aber allem Anschein nach ist dort doch etwas los. Neugierig geht Milo zur mit warmem Licht gefluteten Seitenstraße. Dort stehen wirklich vereinzelt kleine Händlerstände. Die leise Musik eines Leierkastens dringt ebenfalls unmelodisch zu Milo vor. Eigentlich ganz schön. 
Milo umrundet die Straßenecke und geht die schmale Pflastersteinstraße hinter dem Rathaus entlang. Die kleinen Buden dort sind hübsch, wenn auch alt. Überhaupt scheint die Atmosphäre sich geändert zu haben. So beschaulich alles ist, es scheint, als wäre Milo in der Zeit zurückgereist. Aber unbedarft wie er ist, schiebt Milo das auf die weihnachtliche Stimmung. 
Eine der Buden weckt sofort sein Interesse. Die dort angepriesene Ware sind Holzfiguren. Fein geschnitzte Marionetten mit dumpfen Augen und maßgeschneiderter Kleidung. Milo betrachtet sie eingehend. Irgendetwas an diesen Holzmarionetten scheint verkehrt. Sie wirken beinahe lebendig, trotz ihrer hölzernen Körper und der seidenen Fesseln an denen sie bewegt werden können. 
„Guten Abend, junger Mann. Interessiert ihr Euch für meine Ware?“ Milo schreckt auf, als die melodische Stimme erklingt. Hinter dem Stand steht ein adretter Mann, den Milo zuvor nicht bemerkt hat.
Der Händler wirkt exotisch. Er hat kurze, grausilberne Haare und eisblaue Augen. Seine feinen Gesichtszüge scheinen elfengleich, seine Kleidung ähnelt denen der Puppen. Während Milo noch überfordert blinzelt, beginnt dieser androgyne Mann schmallippig zu lächeln. Seine Augen blitzen neugierig auf, was Milo einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Er taumelt etwas zurück, als der Marionettenverkäufer sich verschwörerisch nach vorne lehnt. „Du kannst uns sehen, nicht wahr?“ Sein Lächeln verzieht sich nun zu einer hässlichen Grimasse während Milos Herz rast. Ihm bleiben nur wenige Sekunden Zeit, um über diese eigenartigen Worte nachzudenken, bevor ihm schwarz vor Augen wird und Milo bewusstlos zu Boden stürzt.

Karte mit einem Ausschnitt vom Weihnachtstext von Claudia Starke

Auf dem Weihnachtsmarkt

 

Die Luft war kalt und klar, erfüllt von Stimmengewirr, Gelächter und zahllosen Melodien, die sich vermischten und über allem schwebten. Posaunen riefen die Gläubigen herbei, während ein Erwachsenenchor alle Kinder zu sich rief. Eine Männerstimme sang vom Weihnachtsbaum und eine Frauenstimme von Kinderwünschen. Sie kannte alle Lieder auswendig und wusste nicht zu sagen, welches sie lieber mitsingen mochte. So schwieg sie, schloss stattdessen die Augen, drehte sich langsam um sich selbst und atmete ein paar Mal tief ein, schmeckte gebrannte Mandeln, Crêpes, Kräuterbonbons und Ofenkartoffeln, roch den Glühwein, den es nur für die Erwachsenen gab, und den Kakao für die Kinder, erschnupperte Zimt, Nelken, Anis, Orangen, Honig und Lebkuchen. Dazu kam noch der Duft nach Tannen und Kerzenwachs.

Ihr schwindelte vor Glückseligkeit und sie umklammerte den Beutel mit dem leuchtendroten Apfel fester. Am liebsten hätte sie gleich hineingebissen, hätte das Rot des Zuckerüberzugs ihr Gesicht bemalen und sich den Geschmack auf der Zunge zergehen lassen, doch sie geduldete sich, bis sie ihn daheim im Schein der vier Kerzen verspeisen konnte. Vorfreude.Sie öffnete die Augen wieder, für den Moment geblendet von den vielen Lichtern. Überall leuchteten Weihnachtssterne, glühten Kerzenflammen und am hellsten strahlte das Karussell mit den unzähligen Glühbirnen, die jedes Pferd strahlen ließen. Wie gerne wäre sie aufgesessen zu einem fröhlichen Ritt, doch sie hatte nur die Wahl zwischen Paradiesapfel oder Karussell gehabt. Und so begnügte sie sich damit, an die Beine ihres Vaters gelehnt da zu stehen und zuzuschauen, während sie in ihrer Vorstellung Runde um Runde auf dem Rücken eines der blankpolierten weißen Pferde saß.

Eine jähe Bö ließ sie erschauern, trotz ihres roten Mantels, des weißen Schals und der ebenfalls weißen Bommelmütze zitterte sie, zog ihre kalten Hände so weit es ging in die Mantelärmel hinauf –wie eine Schildkröte, die ihren Kopf in den Panzer zurückzog. Doch der Wind brachte noch etwas anderes mit sich, diesen ganz speziellen Duft, den sie lange schon ersehnt hatte. Sie hob den Kopf und fand ihn jenseits der Lichtgrenze, beständig näherkommen, und sie lächelte.

„In Momenten wie diesen beneide ich unsere Sonja ja ein bisschen.“ Melina half einem der Heimbewohner dabei aufzustehen.

„Beneiden?“ Carla, die gerade Kuchenteller auf den Tischen verteilte, sah ihre Kollegin an und runzelte die Stirn. „Ich finde Demenz alles andere als beneidenswert.“

Melina lachte. „Es geht doch nicht um ihre Demenz, aber sieh sie dir doch mal genauer an. Sie sieht so glücklich aus. Wo immer sie gerade ist, es muss sehr schön sein.“ Sonja saß wie so oft auf der Bank vor ihrem Zimmer und wiegte eine Puppe in den Armen. Dabei summte sie leise vor sich hin. Als Melina sich ihr näherte, um sie zum Kaffeetrinken abzuholen, erkannte sie das Lied.

Leise rieselt der Schnee ...

... und Sonja öffnet den Mund, streckt die Zunge weit hinaus und versucht, die erste Schneeflocke dieses Winters einzufangen.

 

Für meine Mama

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